Über die Demut

Teil 2

Nur wenn man seine Nichtigkeit erkennt, kommt Gott und erfüllt einen mit Sich Selbst. Wo der Mensch ist, ist Gott nicht und wo der Mensch nicht ist, da ist Gott! In das Herz eines selbstsüchtigen Menschen kann Gott nicht kommen. Wer von sich selbst erfüllt ist, glaubt, dass er über den anderen steht und setzt sich somit selbst Grenzen. Gott ist ohne Grenzen. Wie kann das Unbegrenzte in das Begrenzte kommen? O ihr, die ihr Gott sucht, seht zu, dass ihr euch nicht über andere erhebt. Gebt alles auf, was ihr seid und alles, was ihr habt, befreit euch von allem ‚selbst‘, werft das Ego hinaus, und ihr steht Gott von Angesicht zu Angesicht gegenüber.

Wunderbar sind die Worte des Sufi-Heiligen Abur Hassan:

Brüder! Dies ist das Gesetz: Wer Gott nahekommt, verliert, was er hat, ja, er verliert sich selbst, aber er gewinnt dafür die Höchste Gabe, die Gabe der Demut.

Der Mensch mag danach streben, demütig zu sein, aber trotz all seiner Bemühungen immer stolzer werden. Es gibt so etwas wie den Stolz der Demut; er ist sehr gefährlich, denn er ist zu subtil, als dass ihn der Unerfahrene erkennen könnte. Einige geben sich große Mühe, demütig zu sein; und gerade damit machen sie Demut unmöglich. Wie kann man demütig sein, wenn man die ganze Zeit darüber nachdenkt, wie man am besten demütig sein könnte? Auf solche Weise ist man ständig mit sich selbst beschäftigt; aber Wahre Demut heißt, von aller Selbstbewusstheit frei zu sein, was in sich schließt, dass man sich der Demut nicht bewusst ist. Wer wirklich demütig ist, weiß gar nicht, dass er demütig ist.

Der Wahrhaft Demütige nimmt alles hin, da es aus den Händen Gottes kommt. Er weiß, dass an ihm nichts zu loben ist. Alles Gute, das in ihm ist, kommt von Gott, und somit gilt das Lob, das die Menschen ihm spenden, Gott. Als der Jüngling Jesus guter Meister nannte, sagte Jesus ruhig: Warum nennst du mich gut? Keiner ist gut, außer Gott.

Demut

sagt Lacordaire,

bedeutet nicht, dass wir unsere Talente und Tugenden verbergen und dass wir uns selbst für schlechter und niedriger halten, als wir sind, sondern dass wir eine klare Vorstellung von unseren Fehlern haben und uns nicht unserer Vorzüge rühmen, da wir erkennen, dass Gott uns diese aus freiem Willen gegeben hat und dass wir trotz all Seiner Gaben bedeutungslos sind.

So nimmt der Wahrhaft Demütige zuweilen das Lob, das ihm die Menschen spenden, an und gibt es still an Gott weiter, ohne etwas für sich zu behalten.

Ein Mensch, der nicht wirklich demütig ist, benimmt sich sehr unnatürlich, wenn er von anderen nicht gelobt wird. Er wird aufgeregt, verliert die Geduld und ärgert sich sogar. Er stößt die anderen ab durch seine Gereiztheit und bringt sie in eine unangenehme Lage. Manchmal unterdrückt er seine Gefühle und schweigt; aber er kann nicht vergessen, was über ihn gesagt wurde; es verfolgt ihn immer wieder und lässt ihn keine Gemütsruhe mehr finden.

Der Demütige macht kein Aufhebens. Er steht mit sich und den anderen in Harmonie. Ein wunderbares Gefühl des Friedens ist ihm eigen. Er fühlt sich sicher und wohlbehalten, gleich einem Schiff im Hafen, unberührt von den heulenden Stürmen und peitschenden Wellen. Er hat Zuflucht gefunden bei den Lotosfüßen des Herrn und die wechselnden Stürme des Lebens haben keine Macht mehr über ihn. Er fühlt sich leicht wie Luft. Die Lasten, die wir ein ganzes Leben lang mit uns tragen – die Lasten des Ego und seine Wünsche – hat er abgelegt, und er ist immer ruhig und heiter. Da er alles aufgegeben hat, gibt es für ihn nichts zu verlieren; und doch gehört ihm alles, denn er gehört Gott und Gott ist in ihm. Da er die Fesseln der Wünsche zerbrochen hat, ist er mit einem Stück trockenen Brotes ebenso zufrieden wie mit einem üppigen Mahl. In jeder Situation und Lebenslage rühmt er den Namen Gottes.

Wer demütig werden will, betrachtet sich als Schüler. Er lernt viel Neues, aber was noch schwieriger ist, er verlernt vieles, was er früher einmal gelernt hat. 

Ein Gelehrter kam einmal zu einem Heiligen und sprach: O, Seher des Verborgenen, sage mir, was ich tun soll, um ein Göttliches Leben zu führen. Und der Heilige antwortete ihm: Geh hin und vergiss, was du gelernt hast, und dann komme wieder und setze dich zu mir.

Wer den Weg der Demut gehen will, muss seiner bisherigen Lebensweise entsagen. Er muss seine bisherigen Meinungen und seinen gewohnten Lebensstandard aufgeben. Er muss das Leben von einer neuen Warte aus betrachten. Die Dinge, welche die Welt schätzt, haben für ihn keinen Wert. Seine Wertbegriffe sind ganz anders, als die anderer Menschen. Üppige Speisen, schöne Häuser, kostbare Kleider, Macht und Einfluss und Anerkennung, Ehren und Würden locken ihn nicht mehr. Er fühlt sich zu einem einfachen Leben hingezogen. Er ist glücklich, ein verborgenes Leben in dem verborgenen Herrn zu führen. Er ist der Welt gestorben, aber lebendig in Gott. Zuweilen verhält er sich tatsächlich wie einer, der tot ist.

Ja, der Wahrhaft Demütige ist in diesem Sinne der tote Mensch. Er ist gestorben. Es lebt nur Gott in Ihm. Sein Ich ist ausgelöscht; es ist in Gott aufgegangen und nur Gott verbleibt. Gott wirkt in Ihm und durch Ihn und Gott strahlt aus Seinen Augen. Gott spricht aus Seinen Worten; auf Seinen Füßen geht Gott über die Erde, und durch Seine Hände gibt Er allen Seinen Segen.

Solche Menschen sind die Wahre Stärke der Welt und bringen ihr Erleuchtung und Inspiration. Sie zu sehen, heißt, Verbindung mit Gott zu erlangen, denn Gott wohnt in Ihnen. Sie sind die wahrhaft Lebendigen Tempel Gottes. Sie sind es, Die die Welt intakt halten, obwohl Sie es Selbst nicht wissen. Die ganze Welt hängt von Ihnen ab, aber niemand weiß etwas davon. Ihr Herz und Sinn stimmt überein mit dem Großen Herzen und Sinn der Menschheit. Sie sind in vollständiger Harmonie mit allem, was da lebt. Sie geben Ihre Liebe allen Lebewesen, als wären sie Söhne derselben liebevollen Mutter. Sie haben alle Fesseln zerbrochen und haben die Freiheit der Kinder Gottes erlangt. Gott tut Ihren Willen, weil Ihr Wille in den Seinen übergegangen ist. Gott erfüllt Ihnen jeden Wunsch, denn Er ist es, Der all Ihre Wünsche wünscht. Sie sind die kleinen Erretter der Menschheit.

Ich wünsche jedem einzelnen von euch, dass er die Lektion der Demut befolgt, die aus Liebe und Einfachheit entstanden ist.