Kirpal Singh

Fazit

Auszug aus dem Buch ‚Die Krone des Lebens‘

Der bisher auf diesen Seiten gegebene kurze Überblick über die großen Weltreligionen und einige ihrer heutigen Verzweigungen macht eine allgemeine Tendenz zu gemeinsamen Grundvoraussetzungen und Glaubensanschauungen eindeutig klar:

  • dass das materielle Universum nur ein kleiner Teil eines viel größeren Ganzen ist;

  • dass ebenso unsere alltägliche menschliche Existenz nur ein Bruchteil der gewaltigen und vielseitigen Lebensform ist;

  • dass es hinter der äußeren, physischen und menschlichen Welt eine Absolute Wirklichkeit oder einen Zustand vollkommenen Seins gibt, der über aller Wandlung und Auflösung besteht und vollendet in sich selbst ist; der für alles, was ist, die Verantwortung trägt und dennoch über der ganzen Schöpfung steht;

  • dass diese Realität oder Wirklichkeit, dieser Zustand vollendeten Seins, vom Menschen (unter kompetenter Führung) erlangt werden kann, wenn er sich mit dem Wort oder dem göttlichen Tonstrom verbindet, der Licht und Harmonie ausstrahlt, die die ersten und ursprünglichen Offenbarungen des Formlosen in der Form sind und durch deren Herabkommen alle Bereiche und Regionen ins Dasein kamen.

Wenn alle religiösen Erfahrungen in die gleiche Richtung weisen, warum gibt es dann, fragt man sich, so viel Kampf und Streit auf dem Gebiet der Religion? Warum betrachten die Gläubigen jedes Glaubens den ihren als den einzig wahren und alle anderen als falsch? Warum gibt es den dogmatischen Glauben an ein Spirituelles Monopol und wozu die Heiligen Kreuzzüge, das Blutbad von St. Bartholomäus, die spanische Inquisition und 1947 die kommunalen Aufstände in Indien? Dies sind triftige Fragen, und zu ihrer Beantwortung gibt es viele und verwickelte Gründe.

Das Erste, was einem auffällt, wenn man das vergleichende Studium der Religionen beginnt, ist die Tatsache ihrer Existenz auf verschiedenen Ebenen. Der Kern einer jeden größeren Religion ist die praktische mystische Erfahrung eines großen Weisen oder einer Folge von Weisen. Um diesen Mittelpunkt herum haben sich soziale Vorschriften, Bräuche und Rituale gehäuft. Nun mag der Kern für die Mystiker der verschiedenen Zeiten und Länder wohl ein gemeinsamer sein, aber das soziale Gefüge, in dem er erlebt und vermittelt wird, muss naturgemäß wechseln. Die Abendländer nehmen zum Zeichen der Verehrung ihre Hüte ab, während der Orientale sein Haupt bedeckt. Der Hindu, der in einem Land lebt, das Flüsse und Wasser in Überfülle hat, nimmt ein Bad, bevor er seine Gebete verrichtet; der Moslem hingegen, der aus dem arabischen Wüstenland kommt, ist mit einem Trockenbad mittels Sand zufrieden, indes der Europäer aus den kälteren Gebieten sich zu keinem von beiden veranlasst sieht. Solche Sittenunterschiede gibt es ebenso gut auf anderen Gebieten. Die Vielehe lässt sich für den Mohammedaner gesetzlich vereinbaren, aber für den Katholiken wäre dies eine grobe Sünde. Idolverehrung ist im Hinduismus gestattet, für den Puritaner jedoch verabscheuenswert. Es ist eine Tatsache, dass alle religiösen Häupter die Notwendigkeit betont haben, hohe ethische Normen aufrechtzuerhalten, aber ihre Sittenlehre war niemals absoluter Art.

Sie haben die sozialen Verhältnisse in Rechnung gezogen, in denen die Menschen der jeweiligen Zeit lebten, und haben versucht, sie auf die höchstmögliche Stufe zu erheben, die nicht so sehr auf Vereinheitlichung der äußeren Sitten und Bräuche abzielt, als vielmehr auf die Innere Reinheit des Herzens und Wohlwollen seinen menschlichen und nicht menschlichen Mitgeschöpfen gegenüber.

Diejenigen, die Jesus direkt gehört haben, haben die Wahrheit Seiner Versicherung, dass Er nicht gekommen sei, das Gesetz aufzulösen, sondern es zu erfüllen, nicht erkannt, und während Moses sagte: Auge um Auge und Zahn um Zahn, lehrte Jesus Seine Jünger, ihre Feinde zu lieben und ihnen die rechte Wange zu bieten, wenn sie auf die linke geschlagen würden. Moses sprach entsprechend den Verhältnissen zu seiner Zeit, Jesus gemäß den Gegebenheiten in Seiner eigenen, und darum weichen die Sittengesetze des Christentums von denen des Judentums ab, wenn sie auch eine Erweiterung des alten Glaubens darstellen.

Als Folge der Umstände, die die Religion zu einer sozialen Einrichtung haben werden lassen, finden wir, dass sich jede Religion ein eigenes Gefüge von Bräuchen, Dogmen und Ritualen schafft.

Dieses Brauchtum ist in jedem Falle anders; und darum müssen sich natürlich die Anhänger eines jeden Glaubens von denen anderer Bekenntnisse abgesondert fühlen, nicht nur in ihrer Kleidung und ihrer Sitten wegen, sondern auch zufolge ihrer sozialen Ansichten und Einstellungen. Und dennoch zeigt das Leben aller großen religiösen Führer wie Jesus und Buddha, dass sie, indes sie die Gesetze ihres eigenen Volkes annahmen und erweiterten, trotzdem niemals vergaßen, dass alle Menschen Brüder sind; und sie behandelten sie Gläubigen anderer Gemeinschaften mit der gleichen Achtung und Rücksicht, die sie ihren eigenen Anhängern entgegenbrachten. Hinter den unterschiedlichen äußeren Formen, die das Leben kennzeichnet, sahen sie den Pulsschlag derselben Einheit allen Seins, und von dieser Ebene aus betrachteten sie alle Menschen als gleich.

Was den großen Religionsstiftern möglich war, müsste auch jenen möglich sein, die für sich in Anspruch nehmen, ihnen nachzufolgen. Aber wenn wir die Dinge betrachten, wie sie heute sind, finden wir, dass diese Möglichkeit der gegenseitigen Verbindung, der Zusammenarbeit und des Verstehens unter den verschiedenen Glaubensrichtungen sehr selten, wenn überhaupt, verwirklicht wurde. Ein Mystiker wie Shri Ramakrishna kann die Innere Einheit aller Religionen1 praktisch beweisen, aber wir anderen verstehen das nicht.

Tatsächlich wurde jede größere Weltreligion nach dem Hinscheiden ihres Begründers zu einer Institution mit einer Priesterschaft, durch die ihre Interessen wahrgenommen wurden, wie durch die Pandits in Indien, die Mullahs und Maulvis im Islam, die Pharisäer und Rabbis im Judentum und die Mönche und Bischöfe bei den Christen. Diese Entwicklung machte es möglich, die Botschaft der großen Gründer an Unzählige zu übermitteln, die sie niemals selbst darin hätten unterweisen können.

Buddha kam persönlich mit vielen Menschen zusammen und beeinflusste sie. Aber wie viele waren es im Vergleich zu den Millionen, welche die Lehre des Dharma hörten, als zwei Jahrhunderte nach seinem Tode Kaiser Ashoka die verschiedenen Sanghas oder buddhistischen Orden ins Leben rief? Außerdem konnte Seine Botschaft so durch die Jahrhunderte erhalten bleiben. Buddha kam und ging wieder, Jesus ist am Kreuz geopfert worden; aber die Orden und die Kirche bestehen weiter und halten Ihre Lehren im weiten Umfang lebendig, was ohne die Heranbildung solcher Institutionen nicht möglich gewesen wäre.

Wenn aber die Lehren der großen Spirituellen Häupter durch diese Institutionen verbreitet und erhalten werden konnten, werden sie andererseits auch durch sie verändert. Die Botschaft Christi oder Buddhas, wie sie zuerst von Ihnen verkündet wurde, war eine andere als das, was unter den Händen der folgenden Kirche und des Sanghs daraus wurde. Die großen religiösen Häupter wurden durch Innere Ersthand-Erfahrung bewegt und geleitet, und diese liegen auch Ihren Lehren zugrunde. Sie sahen darin etwas Universales, etwas das in jedem Menschen verborgen ist, und dieser Tatsache lenkten sie die Aufmerksamkeit ihrer Schüler zu, indem sie die ethische Förderung als Hebel zum Spirituellen Fortschritt benutzten. Als nach Ihrem Hinscheiden Ihre Aufgabe von Organisationen übernommen wurde, die sich rasch ausbreiteten und immer größer wurden, konnte man nicht erwarten, dass alle ihre Mitglieder die gleiche Höhe erreicht hatten oder auch nur Schimmer der Inneren mystischen Bereiche schauen konnten. Kein Wunder also, dass mit dem Anwachsen der Kirche und dergleichen das Interesse an jeder Religion die Tendenz hatte, vom Mystischen zum Ethischen, Rituellen und Doktrinären abzugleiten – kurz, vom Universalen zum Begrenzten.

Nur eine seltene Seele vermag den dunklen Schleier im Innern zu durchdringen; aber für jedes solche Wesen gibt es eine Million, nein, eine Milliarde derer, die die ethischen Probleme gerne diskutieren, äußere Zeremonien beachten und lautstarke Meinungen kundtun, die nicht inspiriert oder durch persönliche Erfahrung geprüft, sondern vom Marktplatz des Lebens aufgelesen wurden. Und während wir in den Lehren von Jesus selbst kein starres System von Riten, Lehrsätzen und äußeren Moralvorschriften finden – alles war fließend und biegsam und schon dazu bestimmt, in den Dienst der mystischen Botschaft gestellt zu werden – entsteht ein solches jedoch nach ihm mit dem Wachstum der christlichen Kirche. Als diese Veränderung eintrat, erhoben sich zwischen den Anhängern von Jesus und solchen anderen Glaubensrichtungen neue Schranken, Schranken, die es vorher nie gegeben hatte.

Als ob dies nicht schon genug gewesen wäre, wirkte der Aufstieg der Priesterschaft in noch anderer Richtung. In der ersten Phase ihres Wachstums hatte die Kirche in den meisten Fällen gegen eine große Übermacht anzukämpfen, da alles Neue gewöhnlich auf starke Opposition stößt. Sie konnte nur das Kreuz der Not und Entbehrung bieten und nicht die Rosen des Wohlstandes. Und jene, die ihr beitraten, taten es um ihrer Überzeugung willen und nicht aus Gründen der Macht. Aber als die Kirche einmal allgemein anerkannt war, begann sie, beachtliche Macht über das Volk auszuüben. Sie verteilte Gaben und Titel und machte sich nicht nur zum Schiedsrichter in Spirituellen, sondern auch in weltlichen Dingen. Auf diese Weise begann ein Prozess, durch den sich die Priesterschaft vom Inneren zum äußeren Leben wandte, von der Selbstverleugnung zur weltlichen Macht. Um ihre Stellung zu halten, förderte die Kirche die weitere Zunahme von Lehrsätzen und alten Bräuchen, was wiederum ihr Autoritätsmonopol verstärkte. Um sich selbst zu festigen, umgab sie den Altar, dem sie diente, mit einem Glorienschein und verwarf die Altäre, auf die sie keinen Einfluss hatte. Wenn die selbst ernannten Diener Jehovas oder jene einer Gottheit anderen Namens ihre Stellung und Macht zu erhalten und auszudehnen hatten, war es freilich notwendig, alle Götter der Philister und Heiden zu verdammen.

Die in Betracht gezogenen Umstände wirken sich auf jedes Gebiet menschlicher Tätigkeit aus. Der Historiker ist sich des Geschicks einer jeden neuen Bewegung nur zu gut bewusst, sei sie nun religiöser oder weltlicher Natur. Sie beginnt durch einen Seher, erfährt eine rasche Verbreitung in den Händen jener, die sein Beispiel direkt inspiriert hat, und gerät dann in ein Stadium allmählichen Veraltens und Verfalls. Der Abstieg von einer lebendigen Vision zu einem mechanischen Dogma ist nicht der Religion allein eigen. Dennoch gibt es im Falle der Religion gewisse Merkmale, die für sie eigentümlich sind.

Diese einmaligen Probleme rühren von der mystischen Erfahrung her, die jeder großen Religion zugrunde liegt. Die mystische Erfahrung erstreckt sich, wie wir gesehen haben, auf Seinsebenen, zu denen die Menschen im Allgemeinen keinen Zugang haben. Nur eine Handvoll, nein, weniger als eine Handvoll, kann sich in einem Zeitalter darauf berufen, sie zu meistern. Es ist eine Erfahrung einzigartigen Charakters, denn sie enthält eine Art von Reichtum, Weite, Intensität und Schönheit, die auf Erden nicht ihresgleichen hat. Aber auf dieser irdischen Ebene können wir ihre Bedeutung nur innerhalb der Grenzen unserer weltlichen Erfahrung begreifen. Die einzige Wahl, die der Mystiker hat, wenn Er uns etwas von Seiner einzigartigen Erfahrung mitteilen will (ohne gerade im Schweigen oder in den verneinenden Bestimmungen des Vedanta oder eines Johannes vom Kreuz zu enden), ist, dass Er notgedrungen zu Bildern und Gleichnissen Zuflucht nimmt.

In Seinem Masnavi erklärt Rumi:

Es ist nicht richtig, dir mehr zu sagen, denn das Flussbett kann das Meer nie fassen.

Und Jesus spricht über dieses Thema ganz offen zu Seinen engsten Jüngern (denen Er eine direkte Innere Ersthand-Erfahrung geben konnte):

Euch ist’s gegeben, das Geheimnis des Reichs Gottes zu wissen; denen aber draußen widerfährt es alles durch Gleichnisse.

Markus 4:11

Während direkte Darstellungen dazu neigen, durch die analysierbaren Eigenschaften des Gegenstandes begrenzt zu sein, erleidet die bildliche Darstellung diese Beengung nicht. Wenn Dichter ihre Liebe zu einer Frau darstellen, tun sie es in der Sprache einer Rose, eines Sterns, einer Melodie, einer Flamme, des Mondes usw. Mystiker nehmen sich eine ähnliche Freiheit, wenn sie von ihrer Liebe zu Gott sprechen. Aber indem das Publikum des Dichters, der von menschlicher Liebe spricht, weiß, dass er sich in Bildern äußert – wissen sie doch, was eine Frau ist –, fehlt jenen, die dem Mystiker zuhören, eine solche Möglichkeit des Vergleichs, und sie vergessen leicht, dass Er nur in Gleichnissen zu ihnen redet.

Und so werden die Ausführungen eines Menschen, Der mit der Spirituellen Schau begabt ist, oft buchstäblich aufgefasst, wenn sie nur im übertragenen Sinne gemeint sind. Wenn Jesus oder Mohammed erklärten, dass Sie der Sohn Gottes oder der Messias seien (wie es alle große Seelen taten, die Ihren Willen mit dem Göttlichen Willen Eins wussten), wurde angenommen, dass Sie buchstäblich die einzigen Söhne des Allmächtigen waren.

Oder wenn Jesus das folgende sagte – nicht in Seiner Eigenschaft als endliches Wesen, sondern in der des Ewigen Göttlichen Prinzips, das Er verkörperte:

Ich werde euch nicht verlassen noch versäumen bis ans Ende der Welt,

wurde auch dies buchstäblich genommen.

Und wenn man tatsächliche Spirituelle Führung von einem lebenden Meister suchte, nachdem Jesus nicht mehr war, wurde dies als Zeichen für Unglauben und darum als Ketzerei angesehen. Wenn Jesus nun im buchstäblichen Sinne vom Einzelauge oder von Gott als Licht sprach, wurde es so aufgefasst, als bezöge es sich auf die Lauterkeit des Gewissens oder auf den Verstand.

Es ist daher kein Wunder, dass bei jeder so gedeuteten, oder besser gesagt, missdeuteten Darstellung ein Sinn herauskam, den der Weise, Der sie gab, niemals so gemeint hatte, und dass in Seinem Namen Dogmen und Lehrsätze verkündet wurden, die kaum in einer Beziehung zu den universalen Inneren Erfahrungen standen, welche Ihn inspiriert hatten. Auf diese Weise entwickelten sich die Unterschiede zwischen den verschiedenen Glaubensrichtungen, die von ihren Gründern niemals beabsichtigt waren. Darüber hinaus sind die Inneren Bereiche so unermesslich und verschiedenartig, dass nicht ein einziger Mystiker jemals hoffen konnte, alle Aspekte des Inneren Panoramas aufzeigen zu können.

Bestenfalls kann Er auf einen Teil davon hinweisen, und dieser ist vielleicht nicht gerade derselbe, von dem andere gesprochen haben; daraus folgt, dass dem Leser, der nicht selbst direkten Zugang zu den Inneren Bereichen hat, gewisse Verschiedenheiten in den Schriften der Mystiker auffallen, die in Wirklichkeit jedoch nicht bestehen.

Ferner erreichen nicht alle Mystiker das  Höchste Spirituelle Ziel. Nur wenigen gelingt es, den Schleier der Inneren Dunkelheit vollständig zu durchbrechen, und von diesen wieder gelangt die Mehrheit nicht über die erste Spirituelle Ebene hinaus. Von denen, die weitergehen konnten, kommt der größere Teil nicht über die zweite Ebene hinaus und so fort. Nun hat jede Ebene ihre eigenen Besonderheiten und Merkmale, und während die höheren Ebenen die niedrigeren jeweils umschließen und erhalten, sind sich die Bewohner der niedrigeren Ebenen selten der Existenz der höheren bewusst. Jede Ebene scheint im Vergleich zu der vorangegangenen die Vollkommenheit selbst zu sein, und jeder Mystiker, der von seiner himmlischen Erfahrung gesprochen hat, hat sie so beschrieben, als wäre sie die höchste Stufe allen Spirituellen Fortschritts.

Die unausbleibliche Folge davon ist, dass wir Beschreibungen des Absoluten begegnen, die, nachdem man die Verschiedenheit der bildlichen Sprache in Betracht gezogen hat, nicht miteinander übereinstimmen. Jesus spricht vom Göttlichen in seinem väterlichen, Shri Ramakrishna in seinem mütterlichen Aspekt. Die Shankya-Mystiker sprechen von Gott, Prakriti und Atman, als ob sie auf immer getrennt wären; Ramanuja sah sie als verbunden, doch niemals eins werdend, während sie Shankara als von dem gleichen Wesen sieht: Ihre Trennung sei nicht wirklich, sondern nur eine Täuschung. Dies alles bringt den gewöhnlichen Leser in eine große Verwirrung; aber wenn er einem begegnet, der die höchste Region erreicht hat und mit der Erfahrung jeder der Inneren Ebenen vertraut ist, schwinden alle Widersprüche dahin; denn dieser kann beweisen, dass die Behauptungen der sechs Blinden über die Beschaffenheit des Elefanten trotz ihrer offensichtlichen Widersprüchlichkeit am Ende doch in Einklang zu bringen sind durch einen, der den ganzen Elefanten sieht.

In diesem Zusammenhang erfahren die Lehren des Surat Shabd Yoga eine weiterreichende Bedeutung.

Wir haben bis zu einem gewissen Grad gesehen, wie er das schnellste, praktischste und wissenschaftlichste Mittel ist, um das Spirituelle Ziel des Menschen zu erlangen. Nun können wir hinzufügen, dass er dem Menschen die beste Gelegenheit bietet, das weite Gebiet der Spiritualität zu überschauen, da er ihn zu den höchsten Spirituellen Ebenen bringt, zu dem Punkt, wo das Formlose Form annimmt. Was andere verwirrt und bestürzt, lässt den Adepten auf diesem Pfad unbekümmert und gleichmütig. Widersprüche schwinden, wenn Er sie berührt, und was erst verwirrte und bestürzte, löst sich nach Seiner Auslegung in vollkommener Ordnung auf. Er versteht jede der unendlich vielen Spirituellen und scheinbar Spirituellen Bewegungen, denen wir uns heute gegenübersehen. Er kann, wenn Er will, in die Inneren Erfahrungen, die jede von ihnen bietet, eindringen und somit am besten ihren relativen Wert beurteilen. Er verwirft sie nicht, noch greift Er sie an; und Ihn bewegen nicht Hass und Opposition. Da Er den Höchsten kennt, ist es Seine Absicht, die Menschen auf dem einfachsten und schnellsten Weg dorthin zu bringen. Er weiß, dass das Innere Leben nicht mit dem äußeren Leben verwechselt werden darf, und verkündet Seine Botschaft nicht als Gesetz, sondern als Wissenschaft:

Prüft im Innern,

sagt Er,

und seht selbst.

Es ist keine neue Wissenschaft, die Er lehrt. Es ist die älteste aller Wissenschaften. Doch während sie in der Vergangenheit dazu neigte, sich mit vielem Unwesentlichen zu verbinden, wünscht Er sie in ihrem reinen Zustand und ihrem ehemaligen Glanz zu erhalten. Er vereint die in allen großen Schriften enthaltenen mystischen Wahrheiten in logischer Folgerichtigkeit und betont nachdrücklich, dass, wenn Gott in Seiner ursprünglichen Form Licht und Harmonie ist, wir uns diesen und nicht anderen Mitteln zuwenden müssen, um zu Ihm zurückzugelangen und Eins mit Ihm zu werden. Wo Chaos herrschte, bringt Er Ordnung, wo Hoffnungslosigkeit war, bringt Er Hoffnung, und für jeden von uns, in welcher Aufnahmefähigkeit wir auch immer sein mögen, hält Er manches Wohlbefinden, manche Erleuchtung bereit.

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Erläuterung: 1) Um die Wahrheit zu prüfen, dass alle Religionen zum gleichen Spirituellen Ziel führen, übte Shri Ramakrishna nacheinander die äußeren und Inneren Praktiken des Hinduismus, des Christentums und des Islams aus und stellte in jedem Falle fest, dass das erreichte Ziel dasselbe war.