Vizepräsident Dr. G. S. Pathak

Ein Ruf zum Dialog

Eröffnungsrede von Dr. Pathak, Vizepräsident von Indien / 3. Februar 1974

Ich danke Sant Kirpal Singh Ji, dem Schirmherrn der interreligiösen Weltkonferenz der Einheit des Menschen, die vom Manav Kendra veranstaltet wird, für Seine Einladung, diese Konferenz zu eröffnen. Ich beglückwünsche den Schirmherrn zu Seiner Initiative, dass Er die Zusammenarbeit von mehreren religiösen und sozialen Organisationen zur Durchführung dieser Konferenz erreicht hat. Ich bin sicher, dass Seine Bemühungen fruchtbar sein werden und dass Er das würdige Ziel erreicht, den Geist der Einheit unter den Anhängern der verschiedenen religiösen Glaubensrichtungen zustandezubringen und ein allgemeines Wohlergehen zu fördern.

Der Mensch hat viele Siege über die Natur erlangt und ein Wissen erreicht, von dem man, sagen wir vor 25 Jahren, nicht einmal geträumt hat, das er zu seinem Wohl oder zu seiner eigenen Zerstörung anwenden kann. Krasser Materialismus ist aus dem noch nie dagewesenen Fortschritt der Wissenschaft und Technik entstanden. Die Entfernung wurde aufgehoben und Menschen, die in entlegenen Gegenden wohnen, sind tatsächlich Nachbarn geworden. Nur haben sie bis jetzt noch nicht gelernt, wie Brüder zu leben. Zusammenstöße halten auf nationaler und internationaler Ebene an. Die Nationen werden im Innern von Übeln geplagt wie Engstirnigkeit, Denken in Kasten und Staaten, Ungleichheit, Intoleranz, Unwissenheit usw. Auf internationaler Ebene werden noch immer bewaffnete Auseinandersetzungen und Kriege ausgetragen. Ihre Ursachen, zum Beispiel Rassenpolitik, Arroganz der Macht, chauvinistischer Nationalismus und politische Habgier, belasten die Menschheit. 

Es ist jedoch zu erkennen – um die Sprache der UNESCO zu gebrauchen: 

Solange Kriege in den Gemütern der Menschen ihren Anfang nehmen, liegt es den Menschen am Herzen, die Verteidigung des Friedens aufzubauen.

Aber es wurden keine fruchtbaren Anstrengungen in nennenswert großem Umfang unternommen, die Herzen der Menschen zu ändern und den Inneren Schutz des Lebens aufzubauen und zu stärken. Es wurden auch keine entschlossenen und tragenden Schritte unternommen, um dem menschlichen Denken und Handeln eine klare und bestimmte Richtung zu geben, sodass Wissenschaft und Technik allein zum Wohlergehen der Menschheit gebraucht werden und den schreckerregenden Möglichkeiten bei ihrem falschen Gebrauch ein Ende gesetzt werden kann. Für Waffen werden jedes Jahr riesige Beträge aufgewendet, die gebraucht werden könnten, um Armut, Krankheit und Unwissenheit bei den weniger begünstigten Völkern der Welt zu beheben. Kein Zweifel, der Mensch stellt einen großen Fortschritt in der Entwicklung dar. Doch ist offenbar, dass dieser evolutionäre Prozess noch größere Höhen zu erklimmen hat. Etwas lebenswichtiges fehlt in den menschlichen Beziehungen. Es gibt eine cul de sac –  eine Sackgasse. Wenn die Denkprozesse nicht grundlegend geändert werden, gibt es keinen Ausweg.

Wir müssen ein rechtes Verstehen vom Menschen und seinem Platz in diesem Plan der Natur bekommen. Mit Natur meine ich hier nicht nur das physische Universum, sondern auch die Innere Welt, das Himmelreich. Dafür ist es notwendig, dass ein Dialog zwischen den einzelnen Religionen stattfindet, um die Bedeutung des Menschen wiederzuentdecken und um es in der Sprache der Allgemeinheit neu zu formulieren. 

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an die Beobachtung von Professor Parinder: 

Die Religionen der Welt treten heute einer vollkommen neuen Situation gegenüber. Niemals zuvor in diesem Jahrhundert waren sie in so enger Berührung wie jetzt. Die eine Welt, in der wir leben, mit ihren engen Verbindungen, macht die religiöse Isolation sinnlos.

Man muss zugeben, dass die Einheit des Menschen alle physischen Grenzen überschreiten und sich über alle vom Menschen errichteten Barrieren hinwegsetzen muss. Die Verwirklichung der Einheit des Menschen wird den menschlichen Angelegenheiten ein Element der Spiritualität geben. 

Diese Wahrheit ist schön in den Svetasvatara Upanischaden (6,20) ausgedrückt, welche Swami Rangathananda wie folgt übersetzt: 

Der Mensch kann versuchen, den Himmel zusammenzurollen – durch seinen technischen Fortschritt – als ob er ein Stück Leder wäre, trotzdem wird er aber niemals Erfolg haben, Frieden zu erlangen und sein Leid ohne Erkennen der Leuchtenden Gottheit in sich zu beenden.

Ich bin glücklich, anmerken zu können, dass die UNESCO den Einfluss von Spirituellen Werten auf den politischen Aufbau und die Technik hervorhob. In diesem Zusammenhang können Gründungen wie der Manav Kendra und Konferenzen wie diese eine entscheidende Rolle spielen. Ich teile ihre Hoffnung, dass diese Konferenz ein denkwürdiges Ereignis sein wird, ein Sammelplatz der Bruderschaft des Menschen, des Spirituellen Erwachens und der moralischen Erneuerung.

Das Element der Spiritualität, von dem ich gesprochen habe, hängt vom rechten Verstehen der Entwicklung des Menschen in der umgebenden Natur – im weiteren Sinne, wie ich es oben erklärte – und dem Entdecken der Wahren Beziehung des Menschen zu Gott oder dem Überbewusstsein ab. Diesem Bemühen galt das beständige Interesse des Menschen, seit er Kultur hat. Religion ist eine persönliche und innige Beziehung des Menschen zu seinem Schöpfer. Sie ist Teil seines Seins und ein wesentlicher Teil seiner Gemütsbewegungen und Gefühle. Es gibt verschiedene Rassen und Nationen in der Welt, und es gibt verschiedene Religionen, aber das Ziel allen religiösen Suchens ist durch die Jahrhunderte im Wesentlichen dasselbe geblieben. Alle Religionen streben danach, die Höchste Wahrheit zu erkennen, welche die Schöpfung durchdringt. Trotz der Mannigfaltigkeit der Annäherung gibt es eine grundlegende Einheit in der Auffassung von der Höchsten Wirklichkeit. Alle Religionen versuchen, den Menschen zu einem gemeinsamen Ziel hinzuführen. Sie scheinen voneinander abzuweichen, weil sie ursprünglich zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlicher Umgebung gelehrt wurden. Eine Konferenz wie die gegenwärtige wird zweifellos Verstehen und Würdigung der wesentlichen Einheit aller Religionen fördern und uns helfen, die Tatsache zu begreifen und zu verstehen, dass alle dieselbe Wahrheit zum Ausdruck bringen, wenn auch in ihrer eigenen Sprache.

Wenn es auch natürlich ist, dass jeder einzelne ein besonderes Gefühl der Verehrung gegenüber seiner eigenen Religion bewahren sollte, ist es doch erforderlich, dass jede Anstrengung gemacht wird, die Wahre Bedeutung und Tiefe anderer Glaubensrichtungen zu verstehen. Dies ist nur möglich durch einen Gedankenaustausch mit jemandem, der eine persönliche Erfahrung von dem speziellen religiösen Glauben hat, den man zu verstehen sucht. Es wird gesagt, dass eine Religion von innen gesehen ganz verschieden ist von einer, die man von außen betrachtet. Man erkennt, dass man das Gefühl erfahren haben muss, welches die Anhänger von anderen Glaubensrichtungen begeistert, wenn wir sie begreifen wollen. Ein Hindu hält jede Religion für echt, wenn die Anhänger ihr aufrichtig und ehrlich nachfolgen. Shankara hatte ein umfassendes Verständnis für die verschiedenen Ausdrucksweisen der Einen Wahrheit, obwohl er von sechs orthodoxen Systemen der Religion sprach. 

Dr. Radhakrishnan zitierte Ibn-al-Arabi so:

Mein Herz ist zu jeder Form fähig geworden. Es ist eine Weide für Gazellen und ein Kloster für christliche Mönche, ein Tempel für Idole, die Pilger zur Kabba und der Koran. Ich hänge der Religion der Liebe an, ganz gleich, welchen Weg ihre Kühe und Kamele nehmen.

Paramhansa Ramakrishna, der einen einfachen und starken Glauben an die Einheit Gottes hatte, ging durch Spirituelle Erfahrungen, die den verschiedenen Religionen zueigen sind.

Ob Christenheit oder Hinduismus, Islam oder Buddhismus, Jainismus oder Sikhismus oder irgendeine andere Religion, das Ziel ist dasselbe, obwohl die Wege verschieden sind. Sie beleuchten die verschiedenen Wege zu der Letzten Selben Wahrheit. 

Mit den Worten der Veden gesprochen: 

Ekam sat vipra bahuda vadanti – Er ist einer ohne einen zweiten, aber die Weisen erfassen Ihn unterschiedlich und nennen Ihn mit verschiedenen Namen.

Die Weltanschauung der Veden erklärt die Wahrheit so: 

So wie die verschiedenen Ströme ihre Quellen an anderen Orten haben und ihre Wasser im Meer vereinigen, so, o Herr, führen die verschiedenen Wege, welche die Menschen in ihren unterschiedlichen Neigungen einschlagen, so verschiedenartig sie auch scheinen mögen, doch alle zu Dir.

Der Sufi Rumi sagte: 

Die Lampen sind verschieden, doch das Licht ist dasselbe.

Mahatma Gandhi erkannte die Allgemeingültigkeit der Religionen und rief Gott mit den zahllosen Namen an, mit denen die verschiedenen Religionen Ihn benennen. 

Toynbee vertrat zu Recht die Ansicht: 

Die Botschaften der höheren Religionen liegen nicht im Wettstreit, sie ergänzen sich. Wir können an unsere Religionen glauben, ohne sie für die einzige Quelle der Wahrheit zu halten...

Die Hauptreligionen der Welt lassen zweifellos einen großen Grad an Einheit in ihren Lehren erkennen. Toynbee bemerkt, dass alle Religionen darin übereinstimmen, dass unser Universum geheimnisvoll ist, da die Erscheinungen, die wir sehen, nur ein Bruchteil des Universums sein müssen, wovon der Rest verborgen bleibt; dass es einen Geist im Universum gibt, Der spirituell größer ist als der Mensch; dass Wissen nur ein Mittel ist; dass das Ziel menschlichen Bemühens ist, die Vereinigung mit dem Geist hinter den Erscheinungen zu suchen in der Absicht, die Harmonie mit ihm zu verwirklichen...

Es ist nicht notwendig, die Zitate aus den Schriften zu vermehren, um zu zeigen, dass alle großen Religionen von Einem Gott gesprochen haben. Wenn es aber einen Gott und eine Vaterschaft gibt, müssen alle Menschen Brüder und Glieder derselben menschlichen Familie sein. Im Sanskrit wird dies als Vasudheiva kutumbakam bezeichnet. Die Einheit des Menschen ist offensichtlich.

Eine eingehende Beobachtung und ein Studium der Erscheinungen des Universums um uns wird uns zu der Erkenntnis bringen, dass der Eine Gott überall geoffenbart ist und Sein Gesetz alles regiert. Es gibt eine Einheit in den Gesetzen der Natur … es ist bekannt, dass das Freiwerden von ungeheurer Energie in der Sonne das Ergebnis der Verschmelzung von Wasserstoffatomen ist. Die Fusion von Wasserstoffatomen im Laboratorium hat das gleiche eindrucksvolle Freiwerden von Energie zur Folge. Es ist offensichtlich, dass die Offenbarung des Göttlichen Gesetzes im Makrokosmos wie im Mikrokosmos dieselbe ist...

Wenn der Schwund von moralischen und ethischen Werten unvermindert anhält, ist der Weltfriede in Gefahr. Gewalt wird zu Recht, und nur die Streitsüchtigen, Reichen und Starken werden imstande sein, auf Erden zu überleben. Es ist notwendig, dass die Religion das Tempo des materiellen und technischen Vormarsches mindert und es so den Guten und Sanften, den Bescheidenen und Armen ermöglicht, auch zu überleben und ihr Leben in Frieden, Ruhe und Sicherheit zu führen. Alle Religionen verkünden die Bruderschaft des Menschen. Der Islam betont sie und auch das Christentum. Die Botschaft der Sikhs ist in den Worten enthalten: Wir sind Söhne desselben Einen Vaters. Du bist mein Großer Herr. Jainismus, Buddhismus und Hinduismus betonen dasselbe. Nichtangreifen, Toleranz und Achtung vor den anderen Glaubensrichtungen sind die notwendigen Folgen. Nur durch eine Synthese der Werte, die von unseren großen Religionen am Leben gehalten werden, können wir die Sicherheit und das Glück der Menschen wahren und Frieden und Wohlwollen auf Erden sichern.

In den Worten von Dr. Radhakrishnan: 

Es ist das Ziel der Religionen, uns von unserer augenblicklichen, bedeutungslosen Kleingeisterei zu der Bedeutung und dem Zustand des Ewigen zu erheben, das Chaos und das Durcheinander des Lebens umzuwandeln  in die reine und unsterbliche Essenz, die seine volle Entwicklungsmöglichkeit darstellt. Wenn der menschliche Geist sich so ändert, dass er ständig im Glanz des Göttlichen Lichts ist, wenn die menschlichen Gefühle sich in Ausmaß und Richtung des Göttlichen Segens verwandeln; wenn das menschliche Handeln teilnimmt an der Schöpferischen Kraft Göttlichen Lebens; wenn das menschliche Leben die Reinheit des Göttlichen Wesens teilt; wenn wir nur dieses bessere Leben führen können, dann wird die lange Arbeit des kosmischen Prozesses ihre krönende Rechtfertigung bekommen und die Entwicklung von Jahrhunderten ihre grundlegende Bedeutung enthüllen.

Ich habe nun das große Vergnügen, die Weltkonferenz zur Einheit des Menschen zu eröffnen und wünsche Ihren Beratungen allen Erfolg.

Jai Hind