Indira Gandhi

Herausforderung und Chance
des kommenden Zeitalters

Diese Rede wurde von der damaligen Premierministerin Indiens,
Indira Gandhi, am 5. Februar 1974 gehalten

Hazur Sawan SinghKirpal Singh mit Indira Gandhi während der Unity of Man Konferenz 1974Kirpal Singh

Da viele Freunde aus dem Ausland gekommen sind, möchte ich noch ein paar Worte in Englisch sagen: Es war eine wunderbare Idee von Sant Kirpal Singh, diese Konferenz einzuberufen, zu der alle Religionen einberufen wurden. Wie ich eben in Hindi sagte, machte ein Buch tiefen Eindruck auf mich, als ich noch ganz jung war. Es hieß: Die Wesenseinheit aller Religionen. Durch dieses Buch begriff ich, dass alle Religionen durch das grundlegende Bestreben, eine Atmosphäre der Liebe, des Friedens, der Harmonie, Gemeinschaftlichkeit und Hilfsbereitschaft zu schaffen, eine wesentliche Botschaft zu geben haben. 

Hier in Indien haben wir jahrelang versucht, diese Ideale zu praktizieren, aber als Menschen haben wir nun einmal viele Schwächen und leben nicht immer nach unseren Idealen. 

Wir haben auch gelernt: So wie der Regen auf die verschiedenen Teile der Erde fällt und letztlich zum großen Teil seinen Weg ins Meer findet, so führt auch jede Art der Gottverehrung, wenn man sie auf die rechte Art und mit Ernsthaftigkeit praktiziert, schließlich zur Wahrheit und zu einem besseren Verständnis der Welt und uns selbst und gibt uns die Innere Kraft, den Herausforderungen des Lebens zu begegnen. In der Welt hat es immer Materialismus und Böses gegeben, aber gleichzeitig gab es auch immer Kräfte, die versuchten, dagegen anzukämpfen und einen Weg des Friedens und der Harmonie zu bahnen. Vielleicht ist das heute notwendiger denn je – nicht etwa, weil der Mensch schlechter wäre, sondern weil er mehr Macht in der Hand hat, Schlechtes zu tun. Wir sehen, dass die Macht, die dazu hätte dienen sollen, das Leid unzähliger notdürftiger, unterprivilegierter und unterdrückter Menschen zu lindern, dazu benutzt wird, Krieg, Bedrohung und Disharmonie statt Zusammengehörigkeit zu schaffen.

Konferenzen dieser Art, bei denen verschiedene Richtungen und Philosophien einander begegnen, können die Menschen dazu inspirieren, mit dem größeren Wissen und den größeren Möglichkeiten, die man heute hat, und mit verstärkter Kraft einen neuen Weg für die Menschheit zu finden. 

Viele haben verlauten lassen, das Jahr 1973 sei das Ende eines Zeitalters. Wir wissen zwar nicht, wie das neue Zeitalter sein wird, aber sicher ist, dass es anders sein wird. Und in welcher Weise es anders sein wird, liegt in unser aller Hand – ganz besonders aber in den Händen der Jugend, denn sie wird dieses neue Zeitalter gestalten. Es liegt an ihr, ob sie dem Pfad des Friedens folgen will und die Fähigkeit zu mehr Harmonie und einem besseren Verständnis der alten Weisheiten entwickelt. Bemerkenswert an diesen alten Weisheiten ist: Sie stammen von alters her und sind doch – wie Sie feststellen werden – auf das moderne Leben anwendbar – sie sind wichtig in Beziehung zu allem, was heute geschieht. Sie geben die Antworten, die wir brauchen. Aber leider hat die Welt scheinbar keine Zeit zur Besinnung, keine Zeit, diese Dinge zu erforschen und ihre tiefere Bedeutung zu verstehen. Man ist zu sehr in Eile, um diese Dinge auf sich wirken zu lassen und echte Kraft daraus zu schöpfen.

Wie dieses neue Zeitalter auch immer sein mag – es wird ein Zeitalter des individuellen Menschen sein. Alle Gedanken, alle Formen der Gottverehrung, welche Ausrichtung den Menschen auch immer Stärke geben kann – und mit Stärke ist nicht die der Waffen, Macht oder Organisationen gemeint, sondern die echte, Innere Stärke – alles, was uns also Innen stark macht, wird uns auch fähig machen, diese Stärke richtig anzuwenden, um die Welt zu einer besseren Welt zu machen und uns selbst zu besseren Menschen zu machen. Die Herausforderung, vor der die Menschheit heute steht, ist vielleicht größer denn je zuvor. Aber diese Herausforderung bedeutet auch eine Chance. Nie zuvor hatten wir diese Möglichkeiten, unser Leben neu zu gestalten, denn durch die verbesserten Kommunikationswege ist, wie gesagt, Entfernung kein Hindernis mehr. Früher glaubten wir, die Meere trennen einen Kontinent vom anderen, doch nun sind sie wie Brücken, die die Erdteile miteinander verbinden. Durch die Massenmedien können Gedanken schnell andere Teile der Welt erreichen, das kann mehr Verständnis für einander bewirken, und nur aus Verstehen kann Freundschaft entstehen. Aus Freundschaft kann Zusammenarbeit entstehen und aus Zusammenarbeit Friede für den einzelnen, für Gruppen, Nationen und – wie wir hoffen – für die ganze Welt, so dass wir dem näher kommen, wovon bereits viele Menschen geträumt haben – dem Gedanken der einen Welt.

Oft wurde in unserer Philosophie zum Ausdruck gebracht, dass die ganze Familie der Menschheit Eins ist. Früher erschien das aber als ein weit entferntes Ideal. Die Leute betrachteten nur diejenigen als Familienmitglieder, die direkt um sie herum lebten, denn ihr Blick reichte nicht so weit. Heute aber können wir sogar mit Menschen, die weit entfernt leben, in Verbindung bleiben; und dies nicht nur durch Worte, sondern durch Brücken des Verstehens, durch Gedanken und Ideen, und wir sollten diese Chance nützen, um die Kräfte des Friedens und des gegenseitigen Verstehens zu verstärken. Wir sprechen hier von Harmonie, von Frieden und von der Einheit des Menschen; doch ich bin sehr traurig, dass es in meinem eigenen Land soviel Disharmonie gibt. Kräfte der Gewalt sind am Werk, die aus den Schwierigkeiten, die es unter Menschen gibt, Nutzen ziehen. Manchmal bekämpfen wir uns wegen der Religionen, wegen der Kastenzugehörigkeit, manchmal wegen der verschiedenen Sprachen oder geringfügiger Meinungsverschiedenheiten unter den einzelnen Staaten. Das Ergebnis ist dann im Gesamten nicht der Geist des Friedens und der Harmonie, sondern der der Disharmonie und Unzufriedenheit. Wir stehen großen Schwierigkeiten gegenüber und die Frage ist, wie wir dagegen ankämpfen. Wie können wir die Kraft erlangen, uns ihnen zu stellen und den rechten Ausweg zu finden? Durch Disharmonie ist das nicht möglich.

Natürlich sind wir sehr traurig, wenn Menschen durch Gewalt ihr Leben verlieren – sei es durch die Hand derer, die Gewalt ausüben oder durch die die versuchen, sie daran zu hindern. Unser volles Mitgefühl gilt den hinterbliebenen Familien – und denen, die auf andere Art zu leiden hatten. Wenn wir Rückschau halten, stellen wir fest, dass durch Aufstände niemals das erreicht werden konnte, was damit geplant war. Sie bringen nur Disharmonie und verstärken das, was im Menschen nicht gut ist – denn jeder von uns hat das Gute und Schlechte in sich. Es liegt an uns, welchen Bereich wir in uns verstärken wollen, welchem Teil wir erlauben hervorzukommen. Ich glaube, das ist die Botschaft, die diese Konferenz Indien bieten kann, und Indien braucht sie genauso sehr wie die übrige Welt.

Sie alle, die sie hierhergekommen sind – einige von Ihnen sind sehr weit hergereist, doch die Entfernung, die wir geistig bewältigen müssen, ist weit größer als jede Entfernung von Schiff oder Zug – wenn wir uns also alle in die rechte Richtung bewegen und unseren Geist erheben, um das rechte zu tun, dann können wir, denke ich, alle zusammen etwas dazu beitragen, die Welt besser zu machen. Ich denke, diese Konferenz hat einen sehr wertvollen Beitrag geleistet; alle die Schritte, die getan wurden, sind noch keine großen Schritte, es sind kleine Schritte, aber jeder Weg, gleich wie lang, wird vollendet durch die Schritte, die man auf das Ziel zugeht. Ich glaube, dass Sant Kirpal Singh und allen, die für dieses große Unternehmen mit Ihm zusammengearbeitet haben, gratuliert werden sollte. Wir brauchen Ihre Segnungen bei unserer Arbeit, und Ihnen allen, die hierhergekommen sind, spreche ich meine besten Wünsche aus.

Ich danke Ihnen.